Der offenbar sehr verängstigte 26-jährige Adem Özdamar hatte selbst die Polizei gerufen, weil er sich bedroht fühlte. Er wurde mit auf die Polizeiwache genommen, wurde dort unruhig und daraufhin, so die Schilderung der Polizeibeamt*innen, von insgesamt 11 Beamt*innen zu Boden gezwungen und in Bauchlage mit Kabelbindern gefesselt. In dieser Lage soll der junge Mann dann unvermittelt verstorben sein. Selbst als sein Tod bereits festgestellt war, habe es drei Minuten gedauert, bis die Kabelbinder zerschnitten und die Reanimation begonnen werden konnte.
Wenn die Darstellung der Polizei zutrifft, handelt es sich hier zumindest um Totschlag aus vermutlich rassistischen Motiven, da diese Form der Fesselung lebensgefährlich ist und dies den Polizisten auch bekannt hätte sein müssen. Allerdings besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass Özdamar auf anderen Wegen durch Polizeibeamt*innen getötet und die Fesselung in Bauchlage als Deck-Geschichte inszeniert wurde, wie dies Röntgen- und andere Bilder des Verstorbenen nahezulegen scheinen.
Skandalös ist (wieder einmal) der Umgang von Gerichten, Behörden und Politik rund um diesen Todesfall in Polizeigewahrsam.
Die Berliner Zeitung schreibt zu den Umständen auf der Polizeiwache:
„Offenbar wurde der junge Mann bäuchlings an Händen und Füßen fixiert – eine lebensgefährliche Haltung, die den so genannten „lagebedingten Erstickungstod“ zur Folge haben kann. In den USA ist diese Fesselung seit zwanzig Jahren verboten, nachdem dutzende Verhaftete in dieser Position gestorben waren. Auch bei der nordrhein-westfälischen Polizeibehörde wurde nach zwei Todesfällen in der Vergangenheit eindringlich zur Vorsicht gemahnt. In den folgenden Gerichtsprozessen waren die Beamten freigesprochen worden. Sie hatten angegeben, von der Gefahr nichts gewusst zu haben. Dies sei nun unmöglich, betont Adam Rosenberg, der Anwalt der Familie Özdamar. „Niemand kann mehr behaupten, er hätte von der Gefahr dieser Fesselung nichts gewusst.“ Die Folgen einer Fesselung in Bauchlage können dramatisch sein und werden von Amnesty International als lebensbedrohlich eingestuft. Wenn ein Mensch stark erregt ist und wie Özdamar auch noch „randaliert“, wie die Polizei erklärt, benötige er laut dem Frankfurter Notarzt Klaus Metz ungefähr die zwanzigfache Menge an Sauerstoff. „In Bauchlage hat der Brustkorb nicht die Kraft sich zu öffnen, der Patient erstickt.“ Wenige Sekunden später bliebe dann das Herz stehen, in der Spätfolge könne ein Gehirnödem auftreten, wie es dann bei Adem Özdamar festgestellt wurde. „Nach diesen neuen Erkenntnissen liegt eine fahrlässige Tötung vor“, sagt Anwalt Rosenberg. Denn Adem Özdamar befand sich mehrere Minuten lang gefesselt auf dem Bauch. So gab die Notärztin zur Situation bei ihrer Ankunft zu Protokoll: „Der Patient lag bäuchlings auf der Krankentrage und war mit Händen und Füßen fixiert. (…) Ich sagte, der Patient müsse sofort auf den Rücken gedreht werden. Ich versuchte, seinen Puls zu fühlen. Er war nicht mehr festzustellen.“ Die Polizei will sich im laufenden Ermittlungsverfahren nicht zu den Vorfällen äußern. Die Familie des Toten fühlt sich respektlos behandelt. Kurz nachdem Adem Özdamar notoperiert worden war, hatte die Polizei einen Durchsuchungsbeschluss von Özdamars Wohnung erwirkt.
„Die haben meinen Bruder nur schlecht gemacht“, sagt Salih Özdamar, der Bruder des Verstorbenen. Die Lokalpresse beschrieb das Opfer als Drogensüchtigen, viele rassistische Leserbriefe folgten. Salih Özdamar hat seit dem tragischen Vorfall auf der Wache seine Tage damit verbracht, die Ereignisse der verhängnisvollen Nacht zu recherchieren und inzwischen zwei dicke Aktenordner mit Bildern und Protokollen gefüllt. Er hat Ärzte damit beauftragt, die Aufnahmen seines Bruders erneut zu analysieren. Die Radiologen fanden einen Nasenbeinbruch und einen „nicht eindeutig auszuschließenden“ Schädelbasisbruch. Dies könnte auf Gewaltanwendung hindeuten. “
Skandalös waren die folgenden Ermittlungen der zuständigen Staatsanwaltschaft, die im Juni 2008 zur kompletten Einstellung des Verfahrens gegen die am Tod von Özdamar schuldigen Beamten führten. Hierzu schreibt die Frankfurter Rundschau:
„Die Hagener Staatsanwaltschaft spricht ihre Polizisten frei: Sie stellt die Ermittlungen zum Tode von Adem Özdamar „mangels Tatverdacht“ ein. Das ist das Resultat der Obduktionsergebnisse, die am Montag präsentiert wurden – zwei Monate später als ursprünglich angekündigt.
Der 26-jährige Adem Özdamar war Mitte Februar unter Einfluss von Kokain auf eine Hagener Polizeiwache gebracht und dort unter Beteiligung von von elf Beamten bäuchlings gefesselt worden. In der Gerichtsmedizin ist bekannt, dass diese Position zum „lagebedingten Erstickungstod“ führen kann. Er ist anhand des Körpers nicht nachzuweisen, wohl aber durch genaue Rekonstruktion des Vorgangs herzuleiten. Im Obduktionsgutachten des Dortmunder Rechtsmediziners Rolf Zweihoff steht jedoch der lagebedingte Erstickungstod sei hier „praktisch ausgeschlossen“. Das türkische Justizministerium hat die Leiche in Istanbul ein zweites Mal obduzieren lassen. Noch aber warten dortige Mediziner auf das Gehirn Özdamars, das bislang von den deutschen Behörden einbehalten wurde. Auch Amnesty International und die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Herta Däubler-Gmelin, untersuchen den Fall.
„Die Staatsanwaltschaft Hagen hat die Ermittlungen objektiv und mit dem gebotenen Nachdruck geführt“, schreibt die Hagener Staatsanwaltschaft in ihrer Pressemitteilung. Allerdings wurden Ärzte, die Özdamar bei seiner Einlieferung untersucht hatten, nicht als Zeugen befragt, Videoaufnahmen aus der Wache nicht ausgewertet.
Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm und das Innenministerium decken aber die Hagener Beamten. Der Anwalt der Familie Özdamar hatte beantragt, die Hagener Staatsanwaltschaft abzulösen, weil die Ermittler Objektivität vermissen ließen. Sein 16-seitiger Antrag wurde von der Generalstaatsanwaltschaft binnen zwei Tagen abgelehnt, ohne dass die Ermittlungsakten aus Hagen überhaupt eingesehen worden wären.
„Wir konnten schon in dem Antrag keine Anhaltspunkte für ein nicht-objektives Verfahren erkennen“, sagt die Hammer Oberstaatsanwältin Elke Adomeit der Frankfurter Rudnschau. Der zweite Anwalt der Familie, Adam Rosenberg, kündigte im Gespräch mit der FR an, ein Klageerzwingungsverfahren bei der Generalstaatsanwaltschaft zu beantragen.“
Über die Ergebnisse einer zweiten Obduktion des Getöteten, die seine Familie in der Türkei hatten durchführen lassen wollen, haben wir nichts gefunden. Seinerzeit (Mitte 2008) war wohl der Stand, dass das Gehirn des Verstorbenen noch nicht von den deutschen Behörden freigegeben worden war, die Obduktionsmediziner darauf aber warten wollten – schließlich soll Özdamar laut offizieller Darstellung an einem Gehirn-Ödem gestorben sein. Es erscheint plausibel, dass nach dem Ende aller Ermittlungen in Deutschland das Gehirn absichtlich zurückgehalten wurde, um eine zweite Obduktion in Istanbul unmöglich zu machen. Wie eine eventuelle zweite Obduktion ausgegangen ist, ist uns nicht bekannt.
Der Todesfall von Adem Özdamar wird ebenfalls von Amnesty International in ihrer Studie von 2010 „Täter: unbekannt“ zu Polizeigewalt in Deutschland angeführt.