Heute wurde ein Nazi-Aufmarsch mit massiver Polizeigewalt in Demmin durchgesetzt: Ein Demonstration landete nach Polizeigewalt bewußtlos im Krankenhaus, weitere Demonstrant*innen wurden verletzt, die Arbeit von Journalist*innen und Demo-Sanitäter*innen massiv behindert.
Wir dokumentieren hier zwei Artikel, der eine geklaut vom Kombinat Fortschritt, der andere aus dem Neuen Deutschland.
KOMBINAT FORTSCHRITT
Seit Jahren konstatieren das Bündnis „Demmin Nazifrei“ und Antifa-Gruppen eine wachsende Beteiligung am Protest gegen den schon traditionellen NPD-Fackelmarsch am 8. Mai in Demmin. Dieser Trend setzte sich auch dieses Jahr fort. Für eine Verhinderung des Aufmarsches der Neonazis hat es trotzdem noch nicht gereicht. Die friedlichen Proteste wurden von massiver Polizeigewalt überschattet. So lag in der Nacht eine Person zwischenzeitlich im künstlichen Koma, ist ist jedoch wieder aufgeweckt worden und konnte das Krankenhaus mittlerweile verlassen.
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Sören Kohlhuber
Weniger als 200 Neonazis waren gekommen, um am „Trauermarsch“ teilzunehmen. Um den Einmarsch der Roten Armee 1945 herum hatten Einwohner Demmins, aber auch anderer Orte, es vorgezogen, sich durch Selbsttötung der befürchteten Rache der Rotarmisten zu entziehen. Wie zum Beispiel aus Dresden bekannt, hantieren die Neonazis nun mit historisch unhaltbar hohen Opferzahlen, um das Bild der blutrünstigen Sowjetsoldat_innen zu bedienen. Hin und wieder springen auch die Medien auf den Zug auf, und berichten von angeblichen Opferzahlen zwischen 1500 und 2000, wie zuletzt die Ostsee-Zeitung. Mithilfe von Beerdigungsverzeichnissen und Sterbebüchern können jedoch lediglich 500 Todesfälle belegt werden, häufig durch Ertrinken.
Die Teilnehmerzahlen des Naziaufmarsches sind damit rückläufig, was jedoch auch am schlechten Wetter gelegen haben könnte. Versucht man die Angriffe der Polizei außen vor zu lassen, macht das gestrige Geschehen durchaus Mut: So viele Gegenkundgebungen, so viele Blockaden und so viele Gegendemonstrant_innen gab es in Demmin noch nie. Doch zur Verhinderung des Aufmarsches hat es trotzdem noch nicht gereicht. Dabei zeigt sich auch, dass es noch mehr Menschen in Demmin braucht, die bereit sind, sich den Nazis in den Weg zu stellen. Die immer wieder entstehenden Blockaden sind gut – aber oft einfach noch zu klein. Der nächste 8. Mai wäre ein guter Zeitpunkt, denn 2015 fällt dieser auf einen Freitag.
Neben den zahlreichen schönen Momenten, die Mut für eine Zukunft ohne Fackelmarsch in Demmin machen, gab es leider auch sehr viele äußerst unerfreuliche Vorfälle. Auf Busunternehmen ist im Vorfeld wieder einmal Druck durch die Polizei ausgeübt worden, um Buchungen von antifaschistischen Reisegruppen zu stornieren. Die dennoch in Demmin eintreffenden Busreisenden, die sich dem Naziaufmarsch entgegenstellen wollten, wurden vor der Stadt abgefangen und teilweise sehr penibel durchsucht. Als fadenscheinige Begründung für dieses Vorgehen nannten die ausführenden Beamten, dass wer an einem Tag mit Dauerregen trockene Wechselkleidung mit sich führt, dem Augenschein nach Straftäter_in sein könnte. Wozu soll man sich auch sonst andere, trockene Kleidung anziehen, wenn es wie aus Eimern gießt?
Polizeigewalt in Demmin am 8. Mai 2014 from Kombinat Fortschritt on Vimeo.
Unverantwortliche Schikane von Demo-Sanis
Von diesen Vorkontrollen wurden auch anreisende Demo-Sanitäter_innen nicht ausgenommen. Auch sie mussten im strömenden Regen u.a. die Schuhe ausziehen, um diese durchsuchen zu lassen. Des weiteren wurde von Festnahmeeinheiten die sterilen Inhalte der Rucksäcke der Sanis durchwühlt. Dabei trugen die Beamten ihre ganz normalen Einsatzhandschuhe. Abgesehen von dem hygienischen Problem der Verunreinigung von sterilen Materialien kann es dabei auch zu einer Verschmutzung mit Resten von Reizstoffen durch die Polizisten kommen. Oft genug stellen sich verletzte Beamte im Rahmen von Polizeieinsätzen im Nachhinein als Geschädigte ihres eigenen Pfeffersprays hinaus. Hintergrund ist meist, dass der Wind das immer häufiger exzessiv eingesetzte Pfefferspray auch in die Atemwege und Augen der sprühenden Beamten zurückweht. Wenn Polizisten mit ihrer verdreckten Einsatzkleidung in sterilen Utensilien der Sanis herumwühlen ist nicht ausgeschlossen, dass bspw. Verbandsmaterial mit Anhaftungen solcher Reste von Reizstoffen von vergangenen Pfefferspray-Einsätzen verschmutzt werden. Das exzessive Kontrollieren von Sanitäter_innen, die anreisen, um verletzten Menschen zu helfen ist nicht nur unnötig sondern auch absolut unverantwortlich.
Massive Einschränkung der Arbeit von Journalisten
Auch die Arbeit von Journalist_innen ist am 8.Mai massiv von der Polizei behindert worden. Pressevertreter, die mit dem Bus nach Demmin angereist waren, mussten ebenfalls im Regen ihre Schuhe ausziehen und sich von der Polizei durchsuchen lassen. Den Abschluss der Durchsuchungsmaßnahmen mussten die Journalisten wie andere Durchsuchte im Regen und auf Socken im Dreck stehend abwarten.
Im Verlauf des Naziaufmarsches wurden Fotojournalist_innen immer wieder trotz Ausweisung als Pressevertreter_innen mit Ausweis durch die Polizei geschubst und abgedrängt, sowie mit dem Einsatz von Gewalt bedroht worden. Insbesondere bei der Räumung von Blockaden und bei Attacken auf Gegendemonstrant_innen wollten die Polizist_innen nicht dokumentiert werden. Am Fotografieren des Greifswalder Neonazis und Anti-Antifa Marcus Gutsche störten sich die Beamten hingegen nicht.
Das Abdrängen von Journalisten setzte sich auch am Kundgebungsort der Nazis am Ufer des Flusses Peene fort. Die Pressevertreter_innen sind so weit von den Neonazis abgedrängt worden, dass ein Hören und Verstehen der Redebeiträge unmöglich gewesen ist. Damit war die Presse auch nicht mehr in der Lage möglicherweise stattfindenden Volksverhetzungen aus dem Kreis der NPD Veranstaltung zu dokumentieren. Bereits im Aufzug der Neonazis hatten etliche Teilnehmer auf Kleidungsstücken Symbole wie SS-Totenköpfe gezeigt und Merchandise der als kriminelle Vereinigung verbotenen Rechtsrockband „Landser“ getragen. Auf Kritik von den Journalist_innen ist durch die Polizei nicht oder nur mit Spott reagiert worden. Den Fotograf_innen und einem Kamerateam des NDR wurde mitgeteilt, die Veranstalter des geschichtsrevisionistischen Fackelmarsches hätten ein Hausrecht und das Vorgehen gegen die Presse sei mit den Wünschen der Veranstalter abgesprochen. Die Neonazis hatten nach Aussagen der Fotojournalist_innen, die den Aufmarsch begleiteten bereits am Beginn des Aufzuges von der Polizei per Lautsprecher den Ausschluss aller Pressevertreter gefordert.
Dass Ergebnis von einer solchen massiven Behinderung der Arbeit, ist am folgenden Tag in den Agenturmeldungen zu lesen gewesen. Aus friedlichen Sitzblockierenden werden gefährliche Angreifer, die zur Gefahrenabwehr ins Koma geprügelt werden mussten. Wo keine kritische Pressearbeit mehr stattfinden kann, weil der Schlagstock der BFE die Straße regiert, da werden solche zynischen Lügen aus der Pressestelle der Polizei nicht mehr hinterfragt, sondern gedruckt.
Der Tag wirft Fragen auf, die jetzt hoffentlich schnell aufgearbeitet werden: Wie kann eine neonazistische Partei im öffentlichen Raum ein Hausrecht gegenüber der Presse haben? Und seit wann ist der Ordnerdienst der NPD gegenüber der Einsatzleitung der Polizei weisungsbefugt? Warum werden an einem unbeleuchteten Flussufer Wasserwerfer gegen eine friedliche Menschenmenge, in der sich auch u.a. Mitglieder des Landtages befanden, aufgefahren und in unverantwortlicher Weise die Gefahr einer Massenpanik und möglicherweise des Stürzens von Menschen in die Peene riskiert? Welcher Gefahrenabwehr dient die Verunreinigung von sterilen Verbandsmaterial von Sanitäter_innen durch die Polizei? Welche Maßnahmen zur Ermittlung von Straftaten im Amt sind gegen die in der Rudolf Breitscheid Straße eingesetzten Beamten eingeleitet worden?
NEUES DEUTSCHLAND
Zugriff nach Konfetti-»Angriff«
Demmin am 8. Mai: Polizei räumte für Neonazi-Fackelzug die Straße frei
Der Charme der Ostseeküste soll die politischen Gespräche zwischen Angela Merkel und François Hollande erleichtern. Die Kanzlerin hat den französischen Präsidenten zum zweitägigen »privaten« Besuch in ihren Wahlkreis eingeladen. Die Ereignisse, die sich am Donnerstagabend im nahen Demmin abgespielt haben, werden dabei sicher keine Rolle spielen.
In Demmin hatte das Aktionsbündnis 8. Mai zum friedlichen Protest aufgerufen, weil die »volkstreue Bewegung« es sich auch in diesem Jahr nicht nehmen lassen wollte, »an das Unrecht, welches unserem Volk zum Ende des 2. Weltkrieges durch die Besatzer angetan wurde, zu erinnern«. Schon zum sechsten Mal in Folge marschierten die Neonazis mit Fackeln auf. Doch nicht sie wurden von der Polizei verfolgt.
»10 oder 15 junge Leute hatten sich in der Nähe des Luisentors auf die Straße gesetzt. Es waren Franzosen. Sie wollten – wie viele andere – gegen die Nazis protestieren und haben mit Konfetti geworfen«, berichtet Jeannine Rösler, Landtagsabgeordnete der Linkspartei von Mecklenburg-Vorpommern über den 8. Mai. »Dann sind Polizisten auf die ›Blockierer‹ los. Rabiat, ohne Warnung. Mit einem schlanken jungen Mann beschäftigten sich gleich drei Beamte. Ein Mädchen schrie, man solle ihn doch in Ruhe lassen, doch auch sie wurde festgehalten. Man zog den Mann an eine Betonumzäunung, zwei Polizisten knieten auf ihm. Später sahen wir ihn da regungslos liegen, gefesselt. Ein Sanitäter wollte helfen, es boten sich Dolmetscher an, man ließ sie nicht durch. Es dauerte ewig, bis ein Krankenwagen kam. Er brachte den bewusstlosen Mann in ein Greifswalder Krankenhaus.« Rösler habe versucht, die Polizisten zur Mäßigung anzuhalten. Vergeblich. Die behelmte Truppe war mit Wasserwerfern und Hundestaffeln aufmarschiert.
Die Polizei stellte am gestrigen Freitag die Situation naturgemäß anders da: Bereits vor dem Marsch der Neonazis hätten Demonstranten die rund 170 Rechtsextremisten angegriffen, lautet die polizeiliche Rechtfertigung für ihr rabiates Vorgehen. Insgesamt wurden fünf Ermittlungsverfahren wegen Widerstandes und Landfriedensbruchs eingeleitet. Die Rede war außerdem von einem linksgerichteten Demonstranten, der die Polizisten attackiert haben soll und gegen den nun ermittelt werde.
Damit könne unmöglich jener junge Mann gemeint sein, den sie am Boden liegen sah, sagt Rösler. Und sie erkennt auch nicht, dass es eine »wachsende Gewaltbereitschaft« gegeben habe, die von aus Berlin und Hamburg Zugereisten ausgegangenen wäre. Und selbst wenn: Der junge Franzose gehörte – wie sich recherchieren lässt – mit Sicherheit nicht dazu. Der wiederum hat am Freitag auf eigenen Wunsch das Krankenhaus wieder verlassen und einen Anwalt beauftragt.
Für die Neonazis ist Demmin stets ein willkommenes Ziel für Demonstrationen. Nach Kriegsende war es in der Hansestadt zu Übergriffen sowjetischer Soldaten und zu einem Massenselbstmord gekommen. Einwohner ertränkten sich in der Peene. Historiker sprechen von 1500 bis 2000 Opfern, das Regionalmuseum hat durch Eintragungen in einem Friedhofsbuch und einem standesamtlichen Sterbebuch 500 Tote nachgewiesen. Das sei nicht vergessen, doch man wolle nicht dulden, dass Neonazis daraus Kapital schlagen, sagen Vertreter des Aktionsbündnisses, zu dem Bürger der Stadt, Vereine, Gewerkschaften und Parteien gehören. Am Donnerstag fand man sich auch zu einer Friedensandacht, zu Mahnwachen und einem Stadtspaziergang zusammen. Auch der Landesrabbiner der jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, William Wolff, nahm an den friedlichen Aktionen teil.
Die müssten in den kommenden Jahren fantasievoll und friedlich fortgeführt werden, meint Peter Ritter, der innenpolitische Sprecher der Schweriner Linksfraktion. Alle Demokraten dürften auch weiterhin nicht zulassen, dass Geschichte von den Nazis umgedeutet wird. Rechtsextremistisches Denken und Handeln müsse von den Plätzen und Straßen nicht nur in Demmin verschwinden. Allerdings, so meint Ritter auch, wäre es »wünschenswert«, dass sich wieder mehr Demminer Bürger aller Altersgruppen und Weltanschauungen dafür engagieren.